Die CIA und die Macht der Situation
„Unsere Mitarbeiter sind integer und haben sich um die Sicherheit der USA verdient gemacht. Aber in einer begrenzten Zahl von Fällen sind Techniken genutzt worden, die nicht autorisiert waren, die abscheulich sind und die richtigerweise von allen abgelehnt worden sollten.“ So verteidigt CIA-Direktor John Brennan die „erweiterten“ Verhörmethoden der CIA im „Kampf gegen den Terror“ in einer Pressekonferenz vom 11.12.2014 vor der Öffentlichkeit.
Mit anderen Worten: Brennan will die Grausamkeiten, die ein Senatsbericht auf 6.700 Seiten mit 38.000 Fußnoten beschreibt, auf das Versagen einzelner fauler Äpfel zurückführen: „Bestimmte Mitarbeiter haben außerhalb ihrer Grenzen gehandelt. Wir sind der Sache nicht gerecht geworden, als es darum ging, einige Mitarbeiter für ihre Fehler in die Verantwortung zu nehmen.“
Die Taktik, das Versagen eines Systems auf die Unzulänglichkeit einzelner schwarzer Schafe zurückzuführen, begegnet uns auch beim Abu Ghraib-Folterskandal. Zur Erinnerung: Am 28. April 2004 zeigte der US-Sender CBS u.a. Bilder von nackten Häftlingen, die in einer Pyramide aufeinanderlagen, während US-Soldaten dahinter Siegerposen einnahmen. General Richard B. Myers verkündete kurz danach in einem Fernsehinterview, dass diese Taten das isolierte Werk einer Handvoll „bösartiger, vereinzelter Soldaten“ („rogue soldiers“) seien, während 99,9 % der US-Soldaten in Übersee vorbildliche Arbeit leisteten. Es gäbe keinerlei Hinweise, dass diese „Misshandlungen“ (der Begriff „Folter“ wird in solchen Statements gerne vermieden) systemisch bedingt seien. Aber: Wie konnte Myers wissen, dass die Taten der „Abu Ghraib 7“ ein isolierter Vorgang waren, noch bevor er eine gründliche Untersuchung der Vorgänge im Irak, in Afghanistan und auf Kuba durchgeführt hatte?
Solche Behauptungen erinnern an Pressekonferenzen der Polizei, wenn polizeiliche Misshandlungen von Verdächtigen aufgedeckt werden: auch diese seien die Taten von wenigen faulen Äpfeln bzw. bösen Cops. Die Tendenz, bestimmte Ereignisse auf die Persönlichkeit einzelner Beteiligter und nicht auf die Umstände zurückzuführen, ist typisch für die Wächter des jeweiligen Systems und wird in der Psychologie als „fundamentaler Attributionsfehler“ bezeichnet.
Aber sind es wirklich nur die böswilligen Taten von psychisch gestörten Einzeltätern? Eine Antwort gibt uns das berühmte Stanford Prison Experiment des Sozialpsychologen Philip Zimbardo. 18 Stanford-Studenten, die zuvor auf ihre geistige Gesundheit hin überprüft wurden und somit „gesunde Äpfel“ waren, wurden per Zufallsprinzip in Wärter und Gefangene eingeteilt. Innerhalb von wenigen Tagen wurden aus den Wärtern „faule Äpfel“, die ihre Häftlinge so sehr misshandelten und demütigten, dass das Experiment nach sechs Tagen abgebrochen werden musste.
Der „Luzifer-Effekt“ beschreibt die Macht der Situation, in der Kräfte tätig werden, wenn normale soziale und moralische Hemmungen wegfallen und aus Durchschnittspersonen Folterknechte werden. Im Abu Ghraib-Gefängnis wurden Wärter, deren Erfahrungen auf die Bewachung weniger ziviler Häftlinge in einem Gefängnis mittlerer Sicherheitsstufe in einer Kleinstadt im ländlichen Virginia beruhten, mit folgender Situation konfrontiert:
ständige Angriffe durch Scharfschützen und Granaten, durch die regelmäßig Soldaten und Gefangene getötet wurden, ein fehlendes Abwassersystem, Dreck und Unordnung, regelmäßige Stromausfälle, schwere Regenfälle und Stürme bei Temperaturen von z.T. über 45 Grad, eingepferchte Gefangene, die jede Gelegenheit nutzen, um die Wärter zu beleidigen oder mit selbstgemachten oder eingeschmuggelten Waffen anzugreifen, Häftlingsrevolten, 12-Stunden-Schichten an sieben Tagen pro Woche bis zu 40 Tagen am Stück, ungenießbares und zu knappes Essen, Langeweile, unklare Verantwortlichkeiten und Vorgaben von unmittelbaren Vorgesetzten („Strengt eure Phantasie an. Brecht sie. Wir wollen sie gebrochen sehen, wenn wir wiederkommen.“) sowie hochrangigen Befehlshabern wie z.B. Generalleutnant Ricardo Sanchez, Befehlshaber der US-Truppen im Irak, „die Samthandschuhe auszuziehen“ und die Häftlinge „etwas härter anzupacken“, um ihnen „actionable intelligence“ abzupressen.
In diesem Klima der Angst fanden die – moralisch verwerflichen und nicht zu entschuldigenden – Misshandlungen statt. Die Parallelen zum Gefangenenexperiment und den Folterexzessen der CIA werden deutlich. So wurde „9/11“-Mastermind Khaled Scheich Mohammed mindestens 183 Mal dem berüchtigten Waterboarding unterzogen. Zu den „erweiterten Verhörtechniken“ gehörten auch Schläge, tagelanger Schlafentzug, das Stoßen gegen die Wand, Entblößung, Eiswasserbäder und medizinisch unsinnige Einläufe.
Angeklagt gehört hier v.a. das System. Im aktuellen Fall repräsentiert durch die CIA und die politisch Verantwortlichen, die dieses System damals legitimierten und es auch heute noch rechtfertigen: Dick Cheney und George W. Bush.
aus: Diabolische Rhetorik