Manipulative Argumente im Medizincontrolling …und deren Abwehr

Die ärztliche Direktorin Dr. Schönheit referiert zum Thema Mitarbeiterführung: „Kohle wird erst durch dauerhaften Druck zum Diamanten. Druck veredelt auch Menschen. Darum benötigen unsere Mitarbeiter eine straffe Führung.“ Stimmen Sie zu? Bei diesem Analogieargument vergleicht die Sprecherin Mitarbeiter mit einem Stück Kohle. Nicht sehr schmeichelhaft, aber wirksam. Dem Zuhörer ist es oft zu mühsam, diese Analogie auf Plausibilität zu überprüfen. Also nickt er den Vergleich ab.

Eine stimmige Argumentation erfordert einen klaren Standpunkt mit einer plausiblen Begründung. Was aber, wenn die Begründung lediglich plausibel scheint, es aber bei genauerer Betrachtung nicht ist? Damit Sie auf rhetorischen Etikettenschwindel nicht hereinfallen, schauen wir uns 10 manipulative Argumente aus dem Controlleralltag an. Vorhang auf.

  1. Entweder-oder-Argument. Die MD-Prüferin zum Medizincontroller: „Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder Sie akzeptieren eine Kürzung von fünf Tagen oder wir gehen in den Dissens. Sie entscheiden.“ Der Controller nimmt die Kürzung und den vierstelligen Verlust zähneknirschend hin. Beim Entweder-oder-Argument (Schwarz-Weiß-Malerei) wird dem Gesprächspartner weisgemacht, dass für einen Sachverhalt nur zwei Alternativen bestehen.

Abwehr: Es gibt fast immer mehr Möglichkeiten als behauptet. Bringen Sie eine dritte Option ins Spiel: „Ich sehe beide Alternativen als nicht praktikabel an. Können Sie mit drei Tagen leben?“

  1. Präzisionsargument. „Ich bin sicher, 95 Prozent aller Probleme in unserer Klinik könnten gelöst werden, wenn sich das Medizincontrolling mehr um eine korrekte Kodierung kümmern würde.“ Wenn der Sprecher seinen Standpunkt mit präzisen statistischen Aussagen unterlegt, macht er sich die naturgegebene Zahlenblindheit der Menschen zunutze. Das Präzisionsargument suggeriert Objektivität.

Abwehr: Seien Sie bei Zahlen generell skeptisch. Fordern Sie Quellen ein, um herauszufinden, ob der Sprecher die Herkunft seiner Zahlen glaubhaft belegen kann: „Wie kommen Sie auf diese 95 Prozent?“

  1. Argument der hohen Investitionen. „Jetzt haben wir in dieses Abrechnungsprogramm schon so viel Zeit und Geld investiert. Das darf nicht umsonst gewesen sein. Darum gibt’s nur eins: Wir sollten mit dem Programm weiterarbeiten!“ Beim Argument der hohen Investitionen nutzen Manipulatoren die natürliche Verlustaversion ihrer Opfer und bestärken sie z.B. darin, an unrentablen Vorhaben festzuhalten.

Abwehr: Stellen Sie pro und contra für jede Alternative gegenüber: Was spricht für und gegen das Weitermachen bzw. Aufhören?

  1. Die Oberärztin Dr. Reisaus kommt in der Besprechung gleich auf den Punkt: „Es ist eine Binsenweisheit, dass der behandelnde Arzt mit dem Fall am besten vertraut ist. Darum sollte uns das Medizincontrolling nicht ständig in unsere Arbeit hineinreden.“ Viele Menschen lassen sich von Allgemeinplätzen und geläufigen Sprichwörtern leicht beeinflussen.

Abwehr: Bei Allgemeinplätzen benötigen Sie Schlagfertigkeit. Hinterfragen Sie bspw. die Aussage oder verwenden Sie ebenfalls eine Binsenweisheit: „Dazu fällt mir ein: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“

  1. Der Chefarzt Prof. Dr. Steinbeisser referiert: „Jedem ist doch wohl klar, dass wir kein Privatunternehmen, sondern ein kommunales Krankenhaus sind. Darum werden hier solche neumodischen Managementmethoden nicht funktionieren.“ Stellt der Manipulator seinen eigenen Standpunkt als völlig klar und offensichtlich dar, verwendet er ein Evidenzargument, mit dem sich jede weitere Diskussion erübrigt.

Abwehr: Benennen Sie die Taktik. Fordern Sie auf, echte Gründe zu nennen: „Bitte nennen Sie keine Scheinbeweise, sondern stichhaltige Gründe.“

  1. Die Rednerin referiert zum Thema Rechnungsprüfung durch die Krankenkassen: „Die Mehrheit der Krankenkassen prüft Rechnungen nicht auf Korrektheit, sondern auf Kürzungspotenzial.“ Das Mehrheitsargument schließt aus der Anzahl der Befürworter einer Aussage auf ihren Wahrheitsgehalt.

Abwehr: Seien Sie bei Mehrheitsargumenten generell skeptisch. Dass eine bestimmte Anzahl von Menschen (angeblich) etwas glauben oder tun, macht eine Behauptung nicht immer wahrer: „Diese Erfahrung habe ich nicht gemacht.“

  1. „Ich habe gestern mit dem Geschäftsführer gesprochen und der ist derselben Meinung.“ Beim Einzelfallargument zieht der Sprecher seine Schlussfolgerungen auf der Grundlage einzelner Ereignisse. Es ist jedoch unzulässig, aus einem Einzelfall eine allgemeine Regel abzuleiten.

Abwehr: Weisen Sie auf den unzulässigen Schluss hin. Beispiel: „Sie können diesen Einzelfall nicht verallgemeinern.“

  1. Autoritätsargument. „Laut einem Urteil des Sozialgerichts…“ Das Autoritätsargument stützt sich auf die Autorität anderer Personen, was dem Standpunkt eine größere Beweiskraft verleiht. Autorität ist jedoch noch kein Garant für Wahrheit.

Abwehr: Seien Sie wachsam. Autorität ist kein Garant für Wahrheit. Hinterfragen und bezweifeln Sie Autoritätsargumente: „Die Aussage lässt sich nicht auf den aktuellen Sachverhalt beziehen.“

  1. „Das haben wir immer handschriftlich ausgefüllt und sind damit gut gefahren“, ranzt der Arzt die Kodierfachkraft an.“ Das Traditionsargument hat folgenden Aufbau: „Etwas ist schon sehr alt. Darum ist es gut.“ Häufig wird der Verweis auf bewährte Verfahren, Normen und Regeln als Killerphrase verpackt.

Abwehr: Nur weil etwas früher (angeblich) funktioniert hat, muss das nicht für die Gegenwart gelten. Zeigen Sie bspw. Verständnis: „Das verstehe ich gut. Andererseits haben Sie mit wenigen Klicks alle Patientendaten auf einem Blick verfügbar. Zettelwirtschaft ist ab sofort Vergangenheit.“

  1. Das Beste zum Schluss. Der Oberarzt Dr. Fasel zur Medizincontrollerin: „Wir brauchen keine Fallbegleitung, weil’s keinen Nutzen bringt.“ Merken Sie was? Standpunkt und Begründung sind identisch. Wenn jemand seinen Standpunkt mit genau diesem Standpunkt begründet, sprechen wir von einem Zirkelschluss. Die Argumentation dreht sich im Kreis.

Abwehr: Achten Sie auf Synonyme, also Formulierungen mit einer gleichen oder ähnlichen Bedeutung (brauchen – Nutzen). Fordern Sie echte Gründe ein: „Was spricht denn Ihrer Meinung nach konkret gegen die Fallbegleitung?“

Merke: Wer Scheinargumente verwendet, will sich um stichhaltige Begründungen drücken.

Habe nicht solche Meinungen, wie sie der hat, der dich schädigen will, oder wie er möchte, dass du sie hast, sondern sieh nur darauf, wie die Dinge in Wahrheit sind. (Marc Aurel)

Aus: Das Janus-Prinzip – Argumentieren wie die Profis im Medizincontrolling, Mediengruppe Oberfranken, 1. Auflage 2021